Ich gebe es zu: Wann immer ich Werbung von anderen Fotografen sehe, in denen sie schreiben, dass ihre Bilder „authentisch“ sind, weil sie kein Posing machen, verdrehe ich immer ein bisschen die Augen.
Alles ist erlaubt – natürlich musst du kein Posing machen und kannst alles dem Zufall überlassen. Ich bin aber der Meinung, dass du deinen Kunden damit KEINEN Gefallen tust!
Seid mal natürlich
Ist ja wohl der schlimmste Satz, den man gesagt bekommen kann, wenn man vor der Kamera steht. Überleg mal wie oft deine Kunden bzw. Hochzeitspaare professionell vor der Kamera stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle deine Kunden von Beruf Models sind ist äußerst gering.
Die wenigsten wissen also, was „natürlich“ bedeutet und haben erstmal Respekt oder sogar ein bisschen Angst vor der Kamera. Wenn man noch nie ein professionelles Fotoshooting hatte, dann hat man vielleicht auch noch nicht so gute Erfahrungen mit Bildern von sich selbst gemacht. Denn nicht jeder Schnappschuss ist ein Volltreffer und nicht immer mögen wir alle Seiten an uns.
Die Bilder die nach einem „Seid mal natürlich!“ rumkommen, sind oft genau das Gegenteil. Steif, unauthentisch, unnatürlich, lieblos, emotionslos…
Natürlich kann man auch Glück haben und man hat Paare oder Familien, die voll Energie sprotzen und einfach mega das Charisma haben und gut miteinander agieren, sodass man im Endeffekt nur abdrücken muss. Das ist aber tatsächlich eher die Ausnahme, als die Regel!
Posing ist nicht akward
Viele weisen die Idee von Posing erstmal weit von sich, weil sie sich an gestellte Familienbilder aus den 80er erinnern, die halt total akward wirken und genauso viel Emotionen hervorrufen wie „Macht mal“.
Das ist mit Posing heutzutage aber nicht gemeint – bzw. ICH meine Posing nicht so. Ich sehe es eher als ein gezieltes Anleiten und ggf. sogar ein bisschen unterstützendes Improvisationstheater. Es gibt uns die Möglichkeit auf Bildern zu zeigen, wie das Paar tatsächlich miteinander agiert, in dem man bestimmte Situationen oder auch Posen vorgibt.
Ich persönlich nutze dafür 3 Wege:
- Einerseits erkläre ich feste Posen
- Oder ich gebe eine kleine Improvisation zum Nachspielen vor
- Oder ich arbeite mit Prompts, also kleinen Handlungsaufforderungen
Kein Posing und Fine Art passt nicht zusammen
Bei Hochzeitsreportagen verfolge ich eine moderne Mischung zwischen dokumentarischen Stil – also dem Festhalten was in dem Moment passiert – und Fine Art. Ich persönlich bin der Meinung, dass Fine Art und Kein Posing nicht zusammenpasst.
Denn gerade im Fine Art Stil geht es ja darum Schönheit zu zeigen und dazu gehören nun mal auf Anweisungen, den ja Schönheit liegt im Auge des Betrachters, aber es gibt auch Regeln der Ästhetik.
Es macht also durchaus einen Unterschied, OB und WIE bspw. ein Arm platziert wird, wie ein Bein überkreuzt wird, wo eine Lücke entsteht oder geschlossen wird. Das alles muss man anleiten und kann es nicht einfach dem Zufall überlassen.
Wie Kunden sich fühlen
Ein ganz ganz wichtiger Punkt ist für mich dabei immer das Erlebnis für den Kunden bzw. mein Hochzeitspaar. Denn wie man sich im Moment eines Fotoshootings fühlt hat einen ganz entscheidenden Einfluss darauf, wie man die Bilder hinterher wahrnimmt. Hatte man zum Zeitpunkt einer Foto Session Bauchschmerzen, fühlte sich unwohl, fand den Fotografen unsympathisch oder war man unzufrieden mit der Kleidung – wird man genau aus dem Blickwinkel auch die Bilder betrachten.
Ich selbst stand mal vor der Kamera bei einem „Mach mal wie du denkst“ Fotografen und es war SO unangenehm. Ich hab mich einfach allein gelassen und blöd gefühlt und auch ein bisschen so, als hätte der Fotograf nicht wirklich Lust mit mir was gemeinsam zu erschaffen.
Für viele ist ein Fotoshooting etwas Besonderes und Aufregendes… ich sehe immer wieder die Erleichterung in den Augen meiner Paare, wenn ich ihnen sage, dass sie sich um nichts Kümmern müssen, weil ich ihnen mit dem Posing helfe und vor allem sage, was sie mit ihren Händen machen sollen. „Ein Glück!“
Und das ist das Ding – so lange ich Anweisungen gebe und meine Paare beschäftigt sind, können sie nicht weiter drüber nachdenken, dass die Gesamtsituation vielleicht aufregend ist. Und je mehr sie aus ihrem Kopf rauskommen und im aktuellen Moment ankommen, desto authentischer wird alles und desto mehr Emotionen bekomme ich!
Das dauert immer ein bisschen (was ich auch immer am Anfang ansage) – wir alle müssen erstmal ein bisschen warm werden. Aber dann kann man immer mehr ausprobieren und Spaß haben. Die Zeit verfliegt dann nur so und plötzlich sind sie erstaunt, wenn eine Stunde rum ist!